
Glauben Sie nicht alles, was Sie denken
Unsere Augen gehören zu unseren wichtigsten Sinnesorganen. Pro Sekunde nehmen sie mehr als zehn Millionen Informationen auf. Im Auge werden Lichtimpulse in Nervenimpulse übersetzt und über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet, das die Informationen verarbeitet. Die Bilder, die wir sehen, entstehen nicht im Auge, sondern erst im Gehirn, das die Lichtreize interpretiert. Wir nehmen also nicht die Realität wahr, sondern das, was unser Gehirn als unsere Realität erachtet und was mit unseren Erfahrungen, Gefühlen, Gedanken und mit unserem Weltbild vereinbar ist.
Die Wirklichkeit liegt gewissermassen im Auge des Betrachters und hängt davon ab, was auf unsere innere Leinwand projiziert wird. Hieraus entwickeln sich auch unsere Gedanken. Sie sind nicht objektiv, sondern abhängig von unseren Vorstellungen und Glaubensmustern und den Informationen, die in uns unterwegs sind. Mir gefällt der Gedanke, mir meinen Kopf wie einen Garten vorzustellen. Welche Pflanzen hier wachsen, kommt auf die Beschaffung des Bodens an.
Gedanken können uns regelrecht gefangen halten. Haben sie einmal Wurzeln geschlagen, lassen sie uns nachts nicht schlafen, lassen Beziehungen zerbrechen oder halten uns davon ab, so zu leben, wie wir eigentlich leben wollen. Der Gedanke «Ich bin es nicht wert» etwa oder «Ich kann das nicht» kann über ein ganzes Leben bestimmen.
Wir grübeln über Vergangenes und begiessen unseren Groll oder machen uns Sorgen um die Zukunft. Das alles spielt sich allein in unseren Köpfen ab, während die Wirklichkeit ganz anders aussehen kann. Die Auswirkungen können gravierend sein. Viele sind eher bereit zu sterben, als sich von bestimmten Gedanken zu trennen. Wenn sich herausstellt, dass ein Bild, das wir uns gemacht haben, gar nicht der Wirklichkeit entspricht, kann es sich tatsächlich anfühlen wie ein Tod.
Wenn ein Gedankengebäude in sich zusammenfällt, geht etwas zu Ende. Doch das Leben geht weiter. Denn wir SIND schliesslich nicht unsere Gedanken. Wir HABEN sie. Was man hat, von dem kann man sich trennen. Wie wäre es wohl, wenn wir uns von den Gedanken trennen, die uns das Leben schwer machen? Wie wäre unser Leben, wenn unsere Köpfe nicht mit Verletzungen, Sorgen und Ängsten beschäftigt wären? Was wären wir ohne unsere belastenden Gedanken?
Es ist, was es ist
Wir MACHEN uns Sorgen. Also können wir sie uns auch NICHT machen. Helfen tun sie ohnehin nicht. Sorgen machen allen das Leben schwer: dem, der sie hat, und dem, auf den sie projiziert werden. Wir müssen sie uns nicht machen. Diese Möglichkeit haben wir. Wir haben die Macht, darüber zu bestimmen, was sich in unseren Köpfen abspielt und welcher Film gerade auf unserer Leinwand läuft. Denn wir sind nicht nur Projektionsfläche, sondern auch Regisseur und gleichzeitig Hauptdarsteller.
Welche Gedankenpflanzen in unseren Köpfen wachsen, dafür sind allein wir verantwortlich. Doch manche Pflanzen haben tiefe Wurzeln und lassen sich nicht einfach so ausreissen. Gegen sie anzukämpfen hilft nichts und würde alles nur noch schlimmer machen. Was sich mit Nachdruck präsentiert, will beachtet und ernstgenommen werden. Wer etwas zu sagen hat, lässt sich nicht so einfach die Tür vor der Nase zuknallen. Er klopft lauter.
«Nicht wir lassen unsere Gedanken los. Unsere Gedanken lassen uns los», sagt Byron Katie, die Begründerin der Methode «The Work». Es handelt sich um einen Weg, die Gedanken zu identifizieren und zu hinterfragen, die Leid verursachen, um zu innerem Frieden zu finden. (1) In einer persönlichen Lebenskrise hatte Byron Katie erfahren, dass sie litt, wenn sie bestimmten Gedanken glaubte, und nicht litt, wenn sie sie nicht glaubte.
In «The Work» geht es nicht darum zu versuchen, die Welt so zu machen, wie sie sein sollte, sondern umgekehrt der Wirklichkeit so zu begegnen, wie sie ist. Das bedeutet nicht, alles gut zu finden. Es ist ein Weg, in die eigene Kraft zu kommen und die Welt nicht aus Wut, Angst, Trauer oder Sorge heraus mitzugestalten, sondern aus Freude. Wer genau das will, was jetzt gerade ist, der handelt aus Liebe heraus. Gibt es eine grössere Kraft als diese? Nicht die Angst versetzt Berge, sondern Liebe.
Möge nun jeder für sich entscheiden, ob er Teil eines Liebesfilmes ist oder eines Kriegsfilmes. Bilden wir uns dabei nicht ein, dass das Aussen darüber entscheidet. Was auch immer da los ist: Nichts, wirklich gar nichts, kann einen Liebesfilm zu einem Kriegsfilm machen, wenn der Projektor, der Regisseur und der Hauptdarsteller es anders entscheiden.