Licht und SchattenVerborgene Weisheit

Verborgene Weisheit

Seit jeher sucht der Mensch nach dem Sinn der Welt. Das I Ging aus China, die Theogonie des Hesiod aus Griechenland, die Pyramidentexte, die indischen Veden, die biblische Genesis, die Schöpfungsmythen der Urvölker — sie alle versuchen, Erklärungen für das Leben auf der Erde und im Kosmos zu finden.

Denn nur wer weiss, woher er kommt, kann sagen, wohin er geht. Ohne Wurzeln kann der Baum keinen Stamm bilden und keine Krone. Das Leben in der Gegenwart bekommt eine tiefere Bedeutung, wenn wir es zwischen Vergangenheit und Zukunft betten. Die Ereignisse sind nicht mehr beliebig und wir nicht mehr per Zufall auf das Spielfeld gewürfelt.

Heute interessiert sich kaum noch jemand für alte Schöpfungsmythen, Geschichten, die uns an unsere Anfänge erinnern. Das Universum soll aus einem grossen Knall entstanden sein. Und so wie es aussieht, wird es auch so enden. Das ist das Risiko, wenn nur auf technischen Fortschritt gesetzt und das Bewusstsein abgehängt wird und verkümmert. Die Kulturen vor uns haben es sich weniger einfach gemacht. Neben unserem reduktionistischen, deterministischen und verdummenden Weltbild existieren Kosmogonien, in denen es nicht nur Materie gibt, sondern auch Geist.

Eine davon ist die Pistis Sophia, eine der verschwundenen und erst im Jahre 1945 mit der Bibliothek von Nag Hammadi wiedergefundenen gnostischen Schriften. Es handelt sich um Aufzeichnungen zu den Lehren Christi nach der Kreuzigung. Elf Jahre soll er seinen Jüngern erschienen sein und ihnen ein tiefes Wissen über die Mysterien der gnostischen Kosmologie vermittelt haben, den Auf- und Abstieg der Seele und die Begierden, die überwunden werden müssen, um Erlösung zu erlangen.

Eine der Besonderheiten der Lehren ist, dass sie nur von Maria Magdalena wirklich verstanden worden sind. Kein Wunder, dass sie im durch und durch patriarchalisierten Christentum keinen Platz gefunden haben und nicht in den offiziellen Kanon mit aufgenommen wurden, in denen Frauen entweder Sünderinnen oder Heilige sind und insgesamt nicht viel zählen.

Der Geist aus der Flasche

Der Mythos erzählt, dass «Sophia» – ein Teil des All-umfassenden Göttlichen – aus sich selbst heraus eine Welt erschuf, die dem anfänglichen Licht gleichen sollte. Ihr Werk war ein Himmelsbild, das einen Vorhang zwischen den oberen Lichtbereichen und den später entstandenen, niederen Äonen bildete. An der vom Licht abgewandten Seite unterhalb des Vorhangs dehnte sich ein Schatten aus, der Finsternis genannt und zu Materie wurde. Aus dieser Materie entstand der Demiurg: eine unwissende und überhebliche Gottheit, die den Menschen nach seinem Abbild erschuf.

Seitdem hält uns dieser falsche Gott gefangen und hindert uns daran, auf die andere Seite des Vorhangs zu gelangen und unseren wahren Ursprung zu erkennen. Vor Kummer über das, was sie angerichtet hatte, zersprengte sich Sophia in unendlich viele Lichtfunken und erinnert seitdem jeden Einzelnen an den ursprünglichen göttlichen Lichtfunken, der in ihm verborgen ist. Nicht eher wird sie ruhen, bis auch das letzte Menschwesen diesen in sich erkannt hat und in die alles umfassende göttliche Einheit zurückkehrt.

Nach dieser Erzählung endet die Menschheit nicht mit einem grossen Feuerwerk, sondern von innen erleuchtet. Was uns dazu im Wege steht, ist die Vorstellung, wir bestünden nur aus der Materie, in die uns der Demiurg eingesperrt hat. Die Pistis Sophia lehrt, wie der Geist wieder aus der Flasche heraustreten kann. Um die Verhaftungen an die materielle Welt erkennen und lösen zu können, muss sich der Mensch des ihm innewohnenden geistigen Prinzips bewusst werden. Der Weg, den die Gnosis vorschlägt, ist über Lehre, Initiation und Offenbarung erfahrbar. Wie in der Offenbarung des Johannes gilt es, einen Vorhang zu durchschreiten und die Schleier zu entfernen, die wir vor den Augen haben und die uns in einer Welt der Illusion gefangen halten.

Von der Blindheit zur Verbindung

Was mag das für eine Wirklichkeit sein, die sich uns dann offenbart? Was sehen wir, was vorher unsichtbar war? Was ist nicht so, wie wir es uns eingebildet haben und was über virtuelle Bilder in unsere Köpfe kam?

Glaubt man den alten Schriften, braucht es gemeinhin dem Weiblichen zugeordnete Fähigkeiten, um Zugang zu diesem Wissen zu erhalten. Logos alleine reicht nicht. Es braucht den Mythos. Neben der Vernunft braucht es die Intuition, neben dem Kalkül die Poesie. Erst so wird die Erzählung komplett und das Mysterium erfahrbar.

Das Ungleichgewicht zwischen männlichem und weiblichem Prinzip hat die Welt verdreht und den Demiurgen erschaffen. Nun gilt es, beide Prinzipien wieder zusammenzubringen. Harmonie, das zeigt der Sophia-Mythos, kann nur in einem gemeinsamen Wirken entstehen, in dem beide Kräfte ausgeglichen sind. Darum geht es. Das Problem am Grunde ist nicht das neoliberale kapitalistische System, nicht das Streben nach einer unermesslichen Macht, die bereit ist, das Lebendige dem Künstlichen zu opfern und letztlich dem Tod.

Es ist das Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau: die Illusion, wir könnten ohne einander etwas Gutes erschaffen. Wer das erkennt, der hat den Schlüssel in der Hand. Er muss nur noch die Tür öffnen.

 

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